Nachdem es zu Unregelmäßigkeiten bei der Organvergabe gekommen ist, zieht die Politik die notwendigen Konsequenzen. In einem fraktionsübergreifenden Antrag, der am 27.06.2013 im Plenum beschlossen wurde, wird gefordert, dass Richtlinienverstöße der Bundesärztekammer bei der Organvergabe stärker geahndet werden müssen. Gleichfalls soll eine Umstrukturierung der Deutschen Stiftung Organtransplantation eng begleitet werden.
Als zuständige Berichterstatterin im Gesundheitsausschuss redete die Berliner Bundestagsabgeordnete Stefanie Vogelsang:
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
vorab möchte ich der Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz ein großes Kompliment aussprechen. Mit großen persönlichem Engagement hat sie sich dem Thema Organspende in den vergangenen Monaten sehr gründlich angenommen.
Es fanden viele Gesprächsrunden statt. Die Berichterstatter im Gesundheitsausschuss haben sich im vergangenen Monat im Rahmen einer Delegationsreise über Struktur, Aufgaben und Arbeitsweise der Stiftung Eurotransplant im holländischen Leiden informiert.
Viele Sachverständige waren eingeladen, und wir haben uns bewusst bei vielen Themen Zeit gelassen und stets versucht, alle Akteure in das Boot zu holen. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren.
Vor noch nicht einmal einem Jahr haben wir das Transplantationsgesetz umfassend geändert. Die Novellierung setzte Vorgaben der Europäischen Union zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der Transplantationsmedizin um. Mit dem verabschiedeten Gesetz wurden die Kontrollinstrumentarien gestärkt und die Grundsätze für ein gerechtes und funktionierendes Transplantationssystem gelegt. Weiter wurde die unabhängige Prüfungs- und Überwachungskommission gesetzlich verankert, ihre Ermittlungsbefugnisse gestärkt und Vertreter staatlicher Stellen in die Kommission berufen.
Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäuser sind gegenüber der Prüfungs- und Überwachungskommission zur Mitwirkung an Prüfungen verpflichtet.
Umso größer war der Schock, als nur kurze Zeit nach der Verabschiedung dieses Änderungsgesetztes die Manipulationen von Patientendaten, die zu einer bevorzugten Organvergabe an diese Patienten führten, bekannt wurden. Ganz bewusst wurden eigene Patienten auf der Warteliste nach vorn gerückt, ganz bewusst wurde gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer verstoßen.
In drei von vier Transplantationszentren zeigten sich Auffälligkeiten.
Dieser Skandal hatte eine verheerende Auswirkung auf die Bereitschaft zur Organspende: die Spenderzahlen gingen rapide zurück, die Organspendezahlen sind eingebrochen. Von den im Jahr 2012 realisierten Organspenden hatten nur noch 10 % einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung. Das heißt in 90 % aller Fälle mussten die Angehörigen die Entscheidung über die Organspende treffen, weil nichts Schriftliches vorlag.
Mit unserem gemeinsamen Antrag sollen nun die Konsequenzen aus den Manipulationen an Patientendaten in deutschen Transplantationskliniken gezogen werden. Dabei war unser gemeinsames Motto: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Schließlich müssen wir nicht nur die Interessen der 12.000 Menschen auf der Warteliste berücksichtigen, sondern auch die der potentiellen Spender und ihrer Angehöriger.
Eine Vergabe der Spenderorgane muss nach objektiven, transparenten, verlässlichen, nachvollziehbaren und validen Kriterien erfolgen. Schließlich gibt es in Deutschland derzeit nur zehn Spender pro eine Million Einwohner, während beispielsweise Kroatien 40 Spender pro eine Million Einwohner aufweist.
Dabei hat die große Mehrheit der Menschen in Deutschland mit rund 70 % grundsätzlich eine positive Einstellung zur Organspende, aber mit nur 22 % dokumentieren die wenigsten ihre Bereitschaft in einem Organspendeausweis.
Grade bei der Organspende liegen das Leben und der Tod so nahe beieinander wie in keinem anderen Bereich, denn der Tod des einen Menschen bedeutet die Hoffnung auf ein neues Leben für einen oder auch mehrere Patienten, die auf einer Warteliste stehen. Diese Verknüpfung löst bei den Menschen aber auch Ängste aus. Leider ist es so, dass viele Menschen zwar die Sicherheit haben wollen, dass falls sie in einer Notsituation sind, genügend Spenderorgane zur Verfügung stehen, aber leider füllen noch zu wenige selbst einen Organspendeausweis aus.
Aus Studien wissen wir ebenfalls, dass die Menschen eher bereit sind, eine persönliche Entscheidung zu treffen, wenn sie über das Thema Organspende gut informiert sind. Dies ist jedoch unabdingbar mit Vertrauen geknüpft.
Wichtig war es uns nun in den vergangen Monaten, behutsam genau dieses Vertrauen zu schaffen. Denn damit die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidung Organspender zu werden treffen können, dürfen sie nicht an unserem Organspendesystem zweifeln. Diese Zweifel müssen wir gemeinsam ausräumen!
Eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme ist zum Beispiel, dass zukünftig Transplantationsbeauftragte in Krankenhäusern installiert werden.
Ich möchte aber anmahnen, dass das Vertrauen in die Krankenhäuser nur durch die Sanktionierung der Manipulationen wieder hergestellt werden kann. Nach wie vor haben die verdächtigten Ärzte bis heute keine Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten ziehen müssen.
Wenn die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft vorliegen, müssen dringend die entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen ergriffen werden, falls die Manipulationen wegen bestehender Gesetzeslücken straffrei blieben sollten.
Für die Politik bedeutet dies, die Konsequenzen aus diesen Vorgängen zu ziehen, indem der Gesetzgeber für klare gesetzliche Vorgaben sorgt. Alle im Bundestag vertretenen Faktionen haben dies von Anfang an begrüßt. Die Tatsache, dass jetzt ein Antrag vorliegt, der von allen Fraktionen im Ausschuss gemeinsam ausgearbeitet worden sei, ist richtig und wichtig, um Vertrauen zu stärken, damit die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende wieder gestärkt wird.
In dem nun vorliegenden gemeinsamen Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Richtlinien der Bundesärztekammer zum Transplantationsgesetz unter einen Genehmigungsvorbehalt des Bundesgesundheitsministeriums stellt. Damit soll eine staatliche Rechtsaufsicht über die Richtlinienerstellung sichergestellt werden.
Gleichzeitig ist eine einheitliche und umfassende Datenerhebung im gesamten Prozessablauf der Transplantationsmedizin nötig - auch um die Entscheidungen bei der Vermittlung von Organen nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht auf eine verbesserte und fundiertere Datenbasis zu stellen.
Alle bei dem Manipulationen verantwortlichen Akteure müssen strafrechtlich belangt werden. Hier muss der Gesetzgeber handeln und da sind wir uns auch alle einig.
Deshalb fordern wir auch einen jährlichen Bericht in den nächsten drei Jahren über den Fortgang des eingeleiteten Reformprozesses, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin.
Außerdem soll der mit den Ländern begonnene Diskussionsprozess zum Informationsaustausch über berufs- oder strafrechtliche Maßnahmen gegen Gesundheitsdienstleister zwischen den Behörden fortgesetzt werden.
Es ist insofern ein positives Signal, dass sich der gesamte Bundestag einig ist, das System der Organtransplantation in Deutschland nachhaltig zu stärken.
Es ist auch ein positives Signal, dass wir mit großer Mehrheit die Konsequenzen aus dem Organspendeskandal ziehen.
Heute ist ein guter Tag für die Menschen in Deutschland, die vom Thema Organspende betroffen sind.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!